"Korean Vegan": Wie eine Anwältin mit Kochvideos zum Tiktok-Star wurde | STERN.de

2022-08-21 07:17:14 By : Ms. Sally Zhong

Joanne Lee Molinaro erzählt in einem ihrer Kochvideos von ihrer Mutter, die sie vor einer Frau in einem Geschäft verteidigte, als sie wegen ihres Gewichts beschimpft wurde. Dabei bereitet Molinaro Japchae einen koreanischen Nudelsalat zu. Das Video wurde bis heute etwa 2,5 Millionen Mal aufgerufen. In einem anderen Beitrag erzählt Molinaro davon, wie ihr Vater sie bei ihrer Scheidung unterstützte. Währenddessen bereitet sie einen scharfen Tofu-Salat zu. Neun Millionen Aufrufe.

Joanne Lee Molinaro ist eine virale Sensation und mittlerweile ein Superstar auf Tiktok. Mit ihren Videos erreicht sie über vier Millionen Menschen. Das liegt nicht nur daran, dass ihre Rezepte besonders sind. Alle Gerichte sind koreanisch, alle Gerichte sind vegan. Sie hat die koreanische Küche veganisiert. Ein Novum in unserer heutigen Welt, dabei ist die koreanische Küche weit mehr mit der pflanzlichen Ernährung verwurzelt als wir denken. 

Das Besondere an Molinaros Videos sind aber ihre Geschichten: In fast schon poetischen Voiceovers lädt Molinaro die Zuschauerinnen und Zuschauer in ihre Küche, ihr Zuhause und ihr Leben ein. Sie spricht über die Erfahrungen ihrer Eltern bei der Auswanderung von Nordkorea nach Südkorea, ihrer eigenen Erziehung in Amerika oder über ihre persönliche Philosophie. Sie ist offen, mitfühlend und hat eine unverblümte Meinung. Dabei kocht sie, legt ihre kulinarische Identität offen und lässt einen so tief in ihre Welt eintauchen, dass die Videos nur erfolgreich sein können. Fast scheint man als Zuschauerin oder Zuschauer Teil dieses Lebens zu sein. Molinaro ist eine digitale Künstlerin, 2.0.

Dabei war Kochen nur reines Hobby; seit 2016 führt sie einen Blog "The Korean Vegan", die koreanische Veganerin. Damals arbeitet sie als Partnerin in einer Anwaltskanzlei in Chicago. Um der Tristesse des Lockdowns zu entfliehen, meldet sie sich 2020 bei Tiktok an und veröffentlicht Videos über ihre politische Ansicht und über ihr Leben als Anwältin. Es war nicht weniger als ein Video über geschmorte Kartoffeln, das den Grundstein für ihren heutigen Erfolg legte.

Nur zwei Jahre später folgen ihr drei Millionen Menschen auf Tiktok. Die haben dazu beigetragen, dass ihr Kochbuch aus dem Jahr 2021 – eine Sammlung von Rezepten und persönlichen Essays – ein Bestseller wurde. Sowohl die New York Times als auch der New Yorker wählten "The Korean Vegan Cookbook: Reflections and Recipes from Omma's Kitchen" zu einem der besten Kochbücher des Jahres. Der New Yorker beschreibt die Rezepte als "gleichzeitig persönlich und in der Praxis von Generationen verwurzelt".

Vegan wurde Molinaro nicht ganz freiwillig. Ihr heutiger Ehemann entschied 2015 Veganer zu werden. Sie weigerte sich. "Ich wollte nicht mit ihm vegan werden", sagte sie im vergangen Jahr gegenüber der "Washington Post" . "Ich hatte das Gefühl: 'Du nimmst mir mit dem, was du tust, mein Koreanisch-Sein weg." Sie hatte Angst, ihre Identität zu verlieren. Aber irgendwann wurde Molinaro klar, dass sie ihre kulinarische Identität bewahren könnte, wenn sie sich rein pflanzlich ernähren würde. Also beschloss sie dem Vegansein, eine Chance zugeben. Dabei wollte sie aber nicht ihre Lieblingsgerichte aus der Kindheit aufgeben. Stattdessen machte sie sich daran, sie alle zu veganisieren. Ein Durchbruch für sie persönlich und für ihre heutige Karriere. 

Molinaro hat 2019 bei einem Besuch in Südkorea gelernt, dass koreanisches Essen weit über gegrilltes Fleisch und Brathähnchen hinausgeht. Die große buddhistische Bevölkerung des Landes ernährt sich sogar überwiegend pflanzlich. "Ich habe einen buddhistischen Tempel besucht und mit einer der Nonnen gesprochen", schreibt Lee Molinaro in ihrem Kochbuch "The Korean Vegan". "Und sie hat mir sehr nett erklärt, dass es pflanzliche Ernährung schon viel länger gibt als koreanisches Barbecue und sogar als das Wort Veganismus."

Bald ist Molinaro mehr als eine Partnerin in einer Anwaltskanzlei mit einem lustigen Nebengeschäft. Sie führt in die koreanische Küche ein. Bei den meisten endet das Wissen über koreanisches Essen bei Kimchi und Barbecue. Molinaro stellt sowohl Veganerinnen und Veganer als auch Nicht-Veganerinnen und Nicht-Veganern Grundnahrungsmittel wie Gochujang, eine scharfe Chilipaste, und Tteokbokki, zähen Reiskuchen, vor. Zuschauerinnen und Zuschauer, die mit der Küche vertraut sind, erfahren von ihr, dass Jjajangmyun, ein Nudelgericht mit schwarzer Bohnensauce, Molinaros Lieblingsgericht, auch ohne Schweinefleisch zubereitet werden kann. Oder dass Gamjatang – wörtlich "Kartoffeleintopf" – sich auf die Kartoffeln statt auf das Fleisch konzentrieren kann.

Worauf sich Molinaros nächster Beitrag beziehen wird, weiß niemand. Häufig sind es Geschichten über ihre Kindheit, über ihre Familie, aber auch über Themen, die sich mit Politik, Rassismus oder auch Essstörungen beschäftigen. Die einzige Konstante ist das Essen. "The Korean Vegan" ist mittlerweile ein Vollzeitjob geworden. Molinaro sagt heute: "In vielerlei Hinsicht weiß ich jetzt so viel mehr über meine Kultur als vorher."

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