Oktoberfest: Wenn die Weißwurst vegan wird - DER SPIEGEL

2022-09-18 03:47:22 By : Ms. Candice Lian

Es ist noch nicht lange her, da haben Käsespätzle ohne Käse für Gelächter auf der Wiesn gesorgt. Der ganze Saal habe gekichert, so erzählt es Beppi Bachmaier, als er vor neun Jahren im Rahmen einer Pressekonferenz eine zu 100 Prozent pflanzliche Variante des Traditionsgerichts vorstellte.

Geärgert habe ihn der Spott. »Im Leberkäse ist doch auch weder Leber noch Käse«, habe er erwidert. Doch es half nichts. Dieter Reiter, der damalige Oktoberfestleiter, wiegelte schnell ab: »Der Markt wird entscheiden, ob es auch nächstes Jahr veganes Essen gibt.«

Reiter ist heute bekanntlich Münchens Oberbürgermeister. Und Beppi?

Der gelernte Metzger, der nicht nur das Fraunhofer, eines von Münchens ältesten Wirtshäusern, betreibt, sondern seit zehn Jahren auch das »Herzkasperl«-Zelt auf der Oidn Wiesn, hat seine späte Genugtuung. Denn wenn am 17. September das Oktoberfest nach zwei Jahren Pandemie wieder in regulärer Form stattfindet, dann sind die neuen Speisekarten die vielleicht größte Revolution der Post-Corona-Wiesn.

Im Armbrust-Schützenzelt gibt es Seitan-Gulasch, im Paulaner fleischfreie Currywurst und im Hofbräu-Festzelt Weißwürste aus Erbsenprotein, entwickelt von einem Münchner Start-up. Für viele Bayern ist die Weißwurst ein kulinarisches Heiligtum – und die pflanzliche Alternative in etwa so blasphemisch wie eine verheiratete Maria-Darstellerin bei den Oberammergauer Passionsfestspielen. Aber auch daran haben sich die Menschen gewöhnt.

Die Idee, veganes Essen auf der Wiesn anzubieten, wenn auch mit damals noch mit mäßigem Erfolg, habe 2013 eigentlich Beppi Bachmaiers Sohn gehabt, erzählt der Pionier. Als der die Schule abgebrochen hatte, steckte der Vater ihn zum Arbeiten in die Küche. »Da ist es besonders hart. Ich habe gedacht, dass er es sich noch mal überlegt«, so der pädagogische Plan.

Doch dem Sohn gefiel das Kochen, er fing eine Lehre im ersten veganen Restaurant der Stadt an. Als er gerade im dritten Ausbildungsjahr war, überzeugte er Bachmaier, die veganen Käsespätzle auf die Karte zu nehmen.

In der »Ochsenbraterei« sagt schon der Name des Festzelts, dass es hier traditionell um Fleischkonsum geht. Das Zelt ist bekannt dafür, dass die Ochsen, die aus einem städtischen Mustergut kommen, namentlich auf einer Tafel vorgestellt werden, während man sie an einem offenen Drehspieß grillt.

Ausgerechnet in diesem Fleischtempel kocht dieses Jahr ein Mann, der sich mit seiner rein pflanzlichen Küche einen Namen gemacht hat: der vegane Profikoch Sebastian Copien. Auf der Karte stehen vegane Pflanzerl mit Kartoffelsalat, vegane Bratwurst mit Sauerkraut und ein Schwammerlgulasch mit »Pulled«, gerupftem Fleischersatz auf Basis von Erbsenprotein. Wie viele Ochsen dieses Angebot wohl rettet? 130 wurden im Jahr 2018 auf dem Oktoberfest insgesamt verspeist, der stolz vermeldete Rekord lag bei 146 im Jahr davor.

Copien ist in München geboren und verbindet mit dem Oktoberfest viele Kindheitserinnerungen, vor allem ans Essen. Auf dem Festgelände angekommen, gab es früher als Erstes ein Fischbrötchen. Die Kombination von Fest und Fisch habe sich bei ihm »auf die Festplatte eingebrannt«, sagt der Koch. »Durch Essen entstehen höchst emotionale Verbindungen, die meistens etwas mit besonderen Lebenssituationen wie Festen zu tun haben. Der bestimmte Kuchen am Geburtstag, die Bratensoße an Weihnachten.«

Profikoch Sebastian Copien: »Mit kreativer Gemüseküche kann man auch große Fleischliebhaber überzeugen«

Niemand lässt sich so eine Erinnerung gern verderben. »Mit kreativer Gemüseküche kann man auch große Fleischliebhaber überzeugen«, sagt Copien. »Bei Festen wie der Wiesn funktioniert es aber aus meiner Sicht am besten, wenn ich altbekannte Geschmäcker erzeuge und die Leute feststellen, dass diese Variante genauso gut schmeckt.«

Wer sein ganzes Leben schon Gulasch gegessen hat, der wolle eben nicht darauf verzichten. Dabei sei es nicht das Fleisch, das dem Gericht seinen Geschmack gibt, sondern die Gewürze und Röstaromen.

»Vegane Ernährung ist kein Trend und geht nicht mehr weg«, sagt Sebastian Copien. Was wir jetzt erleben, sei der erste Schritt.

Laut einer Allensbach-Analyse lag 2021 die Zahl der Menschen in Deutschland, die sich vegan ernähren, bei 1,41 Millionen. Damit hat sich die Anzahl der Veganerinnen und Veganer innerhalb der vergangenen sechs Jahre verdoppelt.

»Wir werden nicht mehr alle Menschen auf diesem Planeten mit den Proteinen von Fisch und Fleisch ernähren können. Es ist keine Philosophie, sondern eine mathematische Formel«, sagt Thomas Isermann. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Greenforce, das Fleischersatzprodukte wie veganes Hackfleisch, Schnitzel und Burger herstellt.

Veggie-Weißwurst-Investor Käfer: »Da muss die Wiesn mitspielen«

Zu Isermanns Investoren zählen der Moderator Joko Winterscheidt, der Fußballer Thomas Müller und der Wiesnwirt Michael Käfer, in dessen Zelt sich beim Volksfest traditionell die Promis treffen. Dass Deutschlands wohl bekanntester Feinkosthändler auf vegane Ernährung setzt, ist vielleicht das deutlichste Zeichen, dass der Trend im Mainstream angekommen ist.

»Da muss die Wiesn mitspielen«, sagt Michael Käfer. Der 64-Jährige hat schon viele Veränderungen beim Traditionsereignis mitbekommen und mitgemacht. Zu seinen Jugendzeiten, erzählt er, seien seine Altersgenossen und er zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, in Tracht auf dem Oktoberfest aufzutauchen – viel zu konservativ. Heute dagegen würden fast alle Lederhosen und Dirndl tragen.

Vor einem Jahr hat der bekannte Gastronom ein veganes Restaurant eröffnet, bei dem alles, von der Einrichtung bis zur Kleidung der Mitarbeitenden, aus nachhaltigen Stoffen hergestellt ist. Auf der Wiesn wird Käfer erstmals eine vegane Wirsing-Tofu-Roulade und einen Global Food Salad mit einem veganen Pflanzerl anbieten. Von veganer Weißwurst bei ihm aber keine Spur. »Ob vegan oder nicht, die Weißwurst sollte nach Münchner Richtlinien nicht nach zwölf Uhr gegessen werden. Wir öffnen unser Zelt erst kurz vorher. Die Weißwurst haben wir daher nicht im Programm.«

So viel Tradition muss sein.

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