Flughäfen in Deutschland: Die fiese Abzock-Masche der Kosmetik-Verkäufer - DER SPIEGEL

2022-07-23 12:06:26 By : Mr. Ryan Jiang

Abzocke im Vorbeigehen: Teure Tuben vom Flughafen-Kosmetiker

Die Abfangtechnik ist ausgefeilt und tausendfach erprobt. Mit einer Cremeprobe in der Hand fängt der Kosmetikverkäufer vorbeieilende Passagiere im Ankunftsbereich am Hamburger Flughafen ab. "Ich habe ein Geschenk für Sie", sagt er mit freundlichem Lächeln. Flugs drückt er seinem Gegenüber die Gratis-Probe in die Hand und stellt sich in makellosem Englisch als Jonathan vor. So lotst er den Kunden im Handumdrehen in den Verkaufsraum mit dunklem Holzfußboden, weißen Lackmöbeln und heller Beleuchtung.

Zwei Minuten später reibt er Peelings und Pflegecreme auf die angeblich so gestresst aussehende Haut seiner Kunden und verspricht, dass die Produkte der Marke "Obey Your Body  " für ein neues Lebensgefühl sorgen werden. "Sie sind Geschäftsmann. Die Leute schauen nicht auf Ihre Schuhe, sondern in Ihr Gesicht", startet er die erste Runde seiner Verkaufstricks. Dazu gehört auch, den teuren Preis des Kosmetikproduktes erst sehr spät zu nennen. Bedarf, lässt er immer wieder einfließen, sei bei der unreinen Gesichtshaut seines Gegenübers ja offensichtlich vorhanden.

Als dem Kunden 150 Euro für ein Peeling doch etwas überteuert erscheinen, hat er gleich einen Konter parat. Schließlich reiche die Packung für ein ganzes Jahr, argumentiert er. "Und zwölf Euro geben Sie im Monat ja auch für Starbucks aus." Doch der Kunde ziert sich weiter, und deshalb zündet Jonathan die nächste Stufe. Er reißt die Folie eines Produktes auf und holt die Flasche aus der verschweißten Box. "Für Sie mache ich eine Ausnahme. Hier ist die Verpackung beschädigt. Ich gebe Ihnen die Ware für die Hälfte", sagt er, während sein Kollege schon den nächsten Passanten in der Verkaufsmangel hat.

Klingt wie aus einem Handbuch für dubiose Verkaufstricks in den USA? Weit gefehlt. Täglich Hunderte Male finden solche Gespräche in Deutschland statt, und zwar an Orten, an denen die wenigsten Konsumenten damit rechnen. In mehreren großen Airports etwa oder in großen Einkaufszentren. Ein paar obskure Kosmetikmarken haben sich darauf spezialisiert, genau dort mit windigen Verkaufstaktiken das schnelle Geld zu machen. Das funktioniert offenbar hervorragend - auch, weil ausgerechnet an Flughäfen niemand so genau hinsehen will.

Perfekt verpacktes Blendwerk zieht auch bei kritischen Kunden

Dabei gibt es nach Recherchen von manager-magazin.de reihenweise Kunden, die sich über die Airport-Abzocker beschweren. Auch solche, die von sich glaubten, gegen billige Verkaufstricks mit teuren Cremes, Fluids und Peelings gefeit zu sein. Schicke Verkaufsräume, rhetorisch geschulte Verkäufer, die mit kaum überprüfbaren Produktversprechen locken, angeblich hochwertige Inhaltsstoffe und Rücknahmegarantien: Das Blendwerk der modernen Quacksalber ist hübsch verpackt - und diese Masche verfängt bei zahlreichen Opfern.

"Wenn ich voll über meine Sinne verfügen würde, würde ich niemals ein Kosmetikprodukt kaufen, das mehr als 75 Euro kostet", schreibt beispielsweise eine Kundin in einer Beschwerde an die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Es ist mir ein Rätsel, wie sie es geschafft hat, mir solche Mengen zu diesem Preis anzudrehen."

Wie der Kundin, die nach eigenen Angaben auf dem Stuttgarter Flughafen abgezockt wurde, geht es vielen anderen. Im Internet häufen sich Beschwerden über Marken wie "Obey Your Body" oder "Gratiae". Drängelnde Verkäufer, die ein Vielfaches der Preise im Internet berechnen, zu hohe Abbuchungen ohne Quittung, abgelaufene Produkte im Verkauf - die Liste der Beschwerden ist lang.

Das "hard selling" hat System. Denn die Mitarbeiter des "Obey Your Body"-Shops am Hamburger Flughafen gehen beim Verkaufen und auch mit ihren Argumenten systematisch vor. Ein zweites Gespräch mit einem weiteren verdeckten Reporter verläuft nach ganz ähnlichem Muster. Creme auftragen, ein wenig Preisnachlass gewähren, zum Schluss dann die Masche mit der beschädigten Verpackung - das angepriesene Produkt ist ein anderes, die Tricks jedoch die gleichen.

Bei Beschwerden mahnen Flughafenbetreiber nur mündlich ab

Den Flughafenbetreibern ist längst bekannt, dass die Verkaufspraktiken der "Obey Your Body"-Kosmetikprodukteanbieter nicht die feinsten sind. Auf Nachfrage von manager-magazin.de räumten sowohl der Flughafen Hamburg als auch Stuttgart ein, dass sich Reisende über die sehr "aktive Kundenansprache" beschwert hätten. Mehr als mündliche Ermahnungen gab es aber nicht. Auf die Mieteinnahmen der Tiegel-Tändler wollen die Flughafenbetreiber wohl nicht verzichten.

Dabei gäbe es auch für die Flughafenbetreiber Grund zur Sorge. Flughafenshops vertreiben üblicherweise hochwertige Markenware. "Obey Your Body" rechtfertigt seine hohen Preise mit ausgesuchten Inhaltsstoffen. So enthalten viele Produkte angeblich Mineralstoffe aus dem Toten Meer. Zudem sollen sie frei sein von Parfümstoffen und Parabenen, die möglicherweise Allergien auslösen und den Hormonhaushalt stören könnten. "Gratiae" wiederum gibt an, dass viele der Ingredienzien in den Cremes und Lotions aus zertifiziert biologischem Anbau stammen.

Dumm nur, dass es fast unmöglich scheint, diese Behauptungen zu überprüfen. Manager-magazin.de wollte wissen, wer hinter den Kosmetikmarken steckt, wie sie produziert werden und welche Inhaltsstoffe aus welchen Quellen stammen. Die Antworten der Kosmetikfirmen fielen fast so trübe aus wie eine Tube ihrer teuren Handcremes.

"Gratiae" zu Journalistenanfrage: "Wir sind nicht interessiert"

Bei der angeblichen Biomarke "Gratiae", die unter anderem am Flughafen Hamburg sowie am Wiener Airport eine Niederlassung unterhält, blieben mehrere Anrufe in der "Gratiae"-Zentrale in den Niederlanden ergebnislos.

Am Telefon wollte sich eine "Gratiae"-Mitarbeiterin weder zu Inhabern noch zu den Herkunftsorten der Inhaltsstoffe, Produktionsorten oder Nachweisen zum angeblich rein biologischen Inhalt äußern. "Wir sind nicht interessiert", wiegelt eine Mitarbeiterin auf wiederholte Nachfrage ab. Mehr als ihren Vornamen will sie nicht verraten.

Die Verpackung ist nicht viel aussagekräftiger. "Controlled by a research institution" steht auf einer Handcreme-Probe von "Gratiae". Welche das ist und wo sich diese sich befindet, blendet die Kosmetikmarke aus. Laut der EU-Kosmetikverordnung EG/1223/09 müssen Name und Adresse der verantwortlichen Person jedoch auf der Verpackung genannt werden, erklärten Kosmetik-Experten manager-magazin.de.

Biocremes sind laut den Experten ohnedies eine Gratwanderung. Naturkosmetika sei eben keine Natur, da werde hochgerechnet, erläuterte ein Experte. Bei Lebensmitteln definiere ein Gesetz, welche Kriterien Biolebensmittel erfüllen müssen. Bei Biokosmetika gebe es das nicht. Da müsse man auf die Prüfsiegel wie das Label Natrue vertrauen, das Standards für Biokosmetika vorschreibt.

Ein Natrue-Label sucht man auf "Gratiae"-Produkten oder deren offizieller Website vergeblich. Stattdessen finden sich dort unter dem Menüpunkt "Eco-Friendly"  eine Reihe von in grüner Farbe gehaltenen Fantasiesiegeln mit Rechtschreibfehlern.

Produzenten der "hochwertigen" Kosmetik bleiben im Dunkeln

Bei "Obey Your Body", dessen Shop am Hamburger Flughafen vom selben Unternehmen wie "Gratiae" betrieben wird, gestaltet sich die Recherche nach den Hintermännern zunächst ähnlich zäh. Zu Inhabern und Geschäftskonzept will sich zunächst keiner äußern. Nicht die Betreiberin des deutschen Onlineshops, nicht die Manager diverser Outlets, die sich wie bei "Gratiae" nur mit Vornamen melden. Sie alle verweisen auf Telefonnummern im Ausland, bei denen Anrufbeantworter laufen. Ein Rückruf erfolgte nicht.

Nach einer ganzen Reihe erfolgloser Gesprächsversuche meldet sich dann doch jemand aus Spanien von Genome Cosmetics, der Firma, die Obey-Your-Body-Kosmetika seit der Gründung 2003 in den USA, Europa und Afrika vertreibt. Mit den aggressiven Verkäufern will man dort aber nichts zu tun haben. Man sei nur Großhändler, heißt es bei Genome Cosmetics, das nach eigenen Angaben gerade einmal 30 Mitarbeiter beschäftigt. Die Produkte lasse man in unterschiedlichen Fabriken in den USA fertigen, die Verpackung im Nahen Osten.

Den Nachweis, wo die Salze und Mineralien aus dem Toten Meer gewonnen werden, könne nur der Lieferant dafür erbringen, heißt es in einer E-Mail an manager-magazin.de. Doch den Namen des Lieferanten nennt "Obey Your Body" nicht.

Und auch bei vielen anderen Fragen weist das Unternehmen die Verantwortung weit von sich. Etwa bei der Frage nach aggressiven Verkaufstaktiken: Man sei nicht dafür zuständig, wie die Produkte an den Mann und die Frau gebracht würden, heißt es.

Keiner sollte ein vom Verkäufer aufgerissenes Produkt kaufen

Auch zu den massiven Preisunterschieden der Produkte will man sich in Spanien nicht äußern. Damit habe man nichts zu tun, heißt es in der E-Mail. Allerdings räumt das Management ein, bei einigen Läden auch selbst als Mieter aufzutreten. Und mittlerweile auch ein einheitliches Design für die Niederlassungen entwickelt zu haben.

Die Verantwortung für mögliche Umtausch-Probleme, über die Kunden im Internet berichtet haben, schiebt "Obey Your Body" seinen Shop-Mitarbeitern in die Schuhe. Dabei deutet vieles darauf hin, dass deren Verkaufstaktiken in den Shops auch juristisch genau geprüft wurden.

So hat etwa die Masche mit dem Aufreißen des Produkts, die den Preis am Hamburger Airport auf die Hälfte drücken sollte, eine höchst unerwünschte Nebenwirkung nach dem Kosmetik-Kaufrausch. Mit einem bereits angebrochenen Produkt ohne Originalverpackung sinken die Chancen auf einen Umtausch gegen Null. Diese Vorgabe für das gesetzliche Rückgaberecht dürften die Obey-Your-Body-Mitarbeiter durchaus kennen. Der Verpackungsaufriss ist also nicht nur billig - sondern auch noch ziemlich schäbig.

Hatten auch Sie ein einschneidendes Erlebnis mit Verkäufern der Marken "Obey Your Body" oder "Gratiae"? Schildern Sie uns Ihren Fall im Forum oder per E-Mail an mm_Redaktion@manager-magazin.de.

So stellt sich "Obey Your Body" das perfekte Verkaufsgespräch vor:

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Teure Tiegel: Umgab Flughäfen früher noch so etwas wie eine Aura der Seriosität, machen sich in letzter Zeit immer mehr Kosmetikhändler in den Ladenzeilen bereit, die Passagieren regelrecht auflauern und mit ausgefeilten Verkaufstaktiken versuchen, ihre Produkte an die Frau aber auch den Mann zu bringen.

Die Produkte sind alles andere als billig. Dieses Ultrox Expression Marks Anti-Falten Serum des Herstellers "Gratiae" beispielsweise soll - täglich angewendet - Falten und Mimikspuren reduzieren. Allerdings für einen stolzen Preis: Knapp 446 Euro kostest die 30 ml-Flasche im Onlineshop.

Die zugehörige selbsterwärmende Maske, die quasi als Vorbereitung für das Serum dienen soll, schlägt noch einmal mit knapp 535 Euro zu Buche. Ein stolzer Preis für Produkte einer Firma, die sich trotz wiederholter Nachfrage weder zu den Inhaltsstoffen ihrer Produkte noch zu etwaigen Nachweisen über deren Verträglicheit oder den Hintergründen der Firma selbst äußern will.

"Obey your Body": Eine andere Marke, die wie "Gratiae" beispielsweise am Hamburger Flughafen sehr aggressiv von englischsprachigen Verkäufern angeboten wird, kann mit ähnlich teurer Produkten aufwarten. Beispielsweise einer "entgiftenden Gesichtsmaske" für umgerechnet rund 580 Euro, ...

... einem Body Lifting Serum für knapp 350 Euro, ...

... oder einer "hauterneuernden biomagnetischen Maske", die es für umgerechnet rund 760 Euro im Onlineshop gibt. Ziemlich viel Geld für das Produkt eines Großhändlers, der selbst keine Wissenschaftler beschäftigt, sondern seine Produkte von externen Dienstleistern an unterschiedlichen Orten zusammenrühren lässt.

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